Montag, 28. Juli 2014

Hommage an Otto Bruderer (1911 – 1994)



In Waldstatt an der Mittelstrasse 12 steht ein altes, vielzimmeriges Appenzellerhaus, es ist das „Otto Bruderer Haus“ und beherbergt das Werk des Kunstmalers Otto Bruderer. 
Bruderer ist 1911, zur Zeit des ersten Weltkrieges, geboren, hat als Heranwachsender die enge, auch ökonomisch karge Zeit nach dem ersten Weltkrieg erlebt. Als als junger Mann betrieb er zur Zeit der Wirtschaftskrise eine Einrahmerei. 1937 heiratete er und übernahm 1942 die väterliche Papeterie in Waldstatt. Er malte schon als Kind, erste Bilder sind noch aus den 20er Jahren erhalten. In den 50er Jahren, also etwa mit vierzig, konnte er sich vermehrt der Malerei widmen. In diese Zeit fallen grossformatige zeitkritische Werke. Bruderer realisierte mehrere Ausstellungen, es gab Publikationen über sein Werk. Der Kunstbetrieb entsprach allerdings nicht seinem feinsinnigen Naturell. Mit tatkräftiger Unterstützung seiner Frau, Louise Bruderer-Guignard führte der Künstler aber ein offenes Haus und führte Gäste und eine wachsende Schar von Sammlern durch Haus.

Nach seinem Tod hinterliess Bruderer sein Haus und ein einzigartiges Lebenswerk: Zimmer um Zimmer birgt das Haus grossformatige und kleinformatige Öl- und Kasein-Bilder. Mappen und Kartons mit Hunderten von Aquarellen sind aufbewahrt. Es gibt Ordner mit Märchen, und eine grosse Sammlung von Skizzen und Kartons mit auf Kartonschnipseln notierten Sprüchen. Erhalten ist auch ein Tagebuch, das von den Zwanzigerjahren bis in die Nachkriegszeit führt und in sich schon ein einmaliges Zeitzeugnis ist.
Und wie kann man diesem Vermächtnis gerecht werden? Die Otto Bruderer Gesellschaft führt seit Bruderers Tod die Tradition des offenen Bilderhauses weiter und öffnet in wechselnden Ausstellungen immer wieder neue Einblicke in Bruderers Schaffen.

Zum zwanzigsten Todestag Bruders plant die Gesellschaft wiederum einen besonderen Anlass, zu dem ich beitragen durfte. Nur: Was tun? Ein Todestag ist an sich kein Grund zum Feiern, auch wenn er rund ist. Also hatte ich die Idee, das Mass der Zwanzig Jahre nicht nur von heute aus bis zum Tod Bruderers im Jahr 1994 abzutragen, sondern im grossen Zirkelschlag der Jahrzehnte die 20 Jahre bis zurück nach 1914 abzuschreiten und aus jedem 20er-Jahr ein Werk auszuwählen und zu beschreiben.
Aus dieser Idee wurde ein faszinierende Begegnung mit dem Künstler: Ich schrieb zu jedem der ausgewählten Werke eine Bildbetrachtung – und entdeckte beim Schreiben mehr als ich schon wusste. Am schönsten war die Erkenntnis, dass da ein Mensch ein Leben lang kreativ und schöpferisch war. Im letzten Lebensjahr malt Bruderer das Aquarell vom einsamen „Gädeli“. Kein grosses oder gewaltiges Werk – eher ein leichtes Aquarell, das aber ein wunderbares Zeugnis davon ist, wie sich im Malen, im schöpferischen Seins die belanglos vergehende Zeit für einen Moment sammelt.

Lesung zu den Bildern 23.10. 2014 in Waldstatt